25. Juli 2025

Ein bisschen Bewegung würde dir guttun. 
Und andere Tipps, die ich nicht mehr hören kann

Es gibt diesen Moment, den du als chronisch kranker Mensch irgendwann kennst:
Jemand erfährt, dass du krank bist – und plötzlich bist du Projekt Optimierung.
Dein Alltag, deine Ernährung, deine Haltung, deine Energie, deine Stimmung, dein Mindset – alles scheint verhandelbar.

Und schon beginnt es:
„Du solltest mal Yoga probieren.“
„Hast du schon mal Heilfasten gemacht?“
„Ich kenne jemanden, der hatte das auch – der macht jetzt Kältetherapie.“
„Du musst nur positiv denken.“
„Vielleicht kommt das alles auch vom Stress.“

Manche dieser Aussagen kommen von Menschen, die es wirklich gut meinen. Manche wollen helfen, weil sie mit der Hilflosigkeit nicht umgehen können. Manche projizieren ihre eigenen Überzeugungen auf dich. Und einige wenige – seien wir ehrlich – wollen einfach nur reden, um zu reden.

Aber eins haben sie alle gemeinsam: Sie kosten mich Kraft.
Und zwar jeden einzelnen verdammten Tag.

Wenn Unwissen zu Belastung wird

Neulich sagte jemand zu mir, als ich versuchte zu erklären, dass meine Zellen auf zellulärer Ebene nicht richtig arbeiten:
„Ah, ja. Mein Onkel hatte auch sowas… Wie das ausgegangen ist, wissen wir.“
Ich habe gefragt: „Wie denn?“
Antwort: „Ach, der ist tot.“

Das saß.
Und auch wenn ich weiß, dass diese Person schlicht überfordert war, nichts über ME/CFS wusste und rein aus Verlegenheit irgendetwas gesagt hat – es bleibt hängen.

So wie der Satz einer anderen Person, der eigentlich als Trost gedacht war:
„Das Gute ist doch, dass du jetzt weißt, worauf du alles verzichten musst – dann kann man auch die kleinen Dinge viel mehr wertschätzen.“
Ja. Ganz sicher. Wer braucht schon Leben, Zukunft und soziale Teilhabe, wenn man den Geschmack eines Apfels endlich mal richtig genießen kann.

Energie ist nicht unendlich – auch nicht im Umgang mit Menschen

Was viele unterschätzen:
Es ist nicht nur die Krankheit selbst, die einen auslaugt. Es sind die Reaktionen.
Das ständige Sich-Erklären. Das Abwehren. Das Einordnen.
Und all das in einem Körper, der eigentlich keine Energie mehr hat

Ich habe deshalb Strategien entwickelt:

  • Ich frage aktiv, ob jemand eine kurze oder eine lange Erklärung möchte – und passe sie dann dem medizinischen Vorwissen an.
  • Ich gehe nicht mehr in Grundsatzdiskussionen. Wer sich wirklich informieren will, kann das tun – das Internet ist groß.
  • Ich entscheide bewusst, wann ich ein Gespräch beende oder mich innerlich rausnehme. Nicht aus Arroganz, sondern aus Selbstschutz.

Was passiert, wenn ich von meiner Krankheit erzähle

Immer wenn ich jemandem sage, dass ich krank bin, zieht sich in mir alles zusammen und ich gehe innerlich in Deckung. Denn man weiß nie, was kommt.

Selten, wirklich selten, kommt das, was eigentlich angemessen wäre:
Ein „Was für eine Scheiße!“

Was man hört:
„Tut mir leid für dich.“
– Was soll das eigentlich heißen?
Bei jemand anderem wäre es weniger schlimm?
Tut mir leid für dein bevorstehendes Leben? Du bist ja noch so jung?

Mein Gefühl nach solchen Gesprächen – und gemessen daran, wie viele Menschen sich danach immer weniger melden – ist eher:
„Tut mir leid für dich und unseren bisherigen Kontakt.“

Denn du bist jetzt nicht mehr unbeschwert, nicht mehr zuverlässig verfügbar, nicht mehr die, die bei allem mithält.
Und so, ganz leise, verliert man Freundschaften. Nicht weil man es will – sondern weil man nicht mehr passt.

Wie man trotzdem weiteratmet

Ich arbeite täglich daran, mich nicht zu ärgern.
Nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen.
Und manchmal gelingt es. Manchmal auch nicht.

Aber ich lerne: Nicht jede Aussage verdient meine Energie.
Nicht jeder gute Rat muss angenommen, widerlegt oder erklärt werden.
Und manchmal reicht es, einfach zu denken:
„Danke für nichts.“ – und weiterzugehen.

Denn ich bin krank. Nicht blöd.
Und ich weiß sehr genau, was ich schon alles probiert habe.

Wenn du dich in all dem wiederfindest – willkommen im Club.
Und wenn du jemanden kennst, der chronisch krank ist: Frag erst. Hör zu. Sag vielleicht auch mal einfach nur:
„Was für eine Scheiße.“

Das hilft oft mehr als alles andere.

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