Was passiert mit
ME/CFS im Körper?
Was passiert im Körper bei ME/CFS?
Was passiert im Körper bei ME/CFS?
ME/CFS ist keine „rätselhafte Krankheit“. Es ist eine schwerwiegende, multisystemische Erkrankung, die den Körper auf mehreren Ebenen tiefgreifend verändert – auch wenn sie von außen oft unsichtbar bleibt.
Dieser Text erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder medizinische Richtigkeit im rechtlichen Sinne. Für die Erstellung dieses Textes habe ich unter anderem KI-gestützte Werkzeuge genutzt, um aktuelle Studien schneller zusammenzutragen. Die Inhalte wurden anschließend manuell überprüft und mit Quellenangaben versehen.
Da sich der Forschungsstand zu ME/CFS dynamisch entwickelt, kann es jederzeit zu neuen Erkenntnissen kommen. Ich bin weder Ärztin noch Wissenschaftlerin – dieser Text ersetzt keine ärztliche Beratung, sondern soll zur Information und Sensibilisierung beitragen. Alle Angaben sind mit Quellen belegt, die du am Ende der Seite findest.
Pathophysiologie von ME/CFS: Was passiert im Körper?
Energiestoffwechsel-Störungen und mitochondriale Dysfunktion
Eine zentrale Erkenntnis der aktuellen Forschung ist, dass bei ME/CFS der zelluläre Energiesstoffwechsel gestört ist. Insbesondere zeigen Untersuchungen, dass die Mitochondrien – die „Kraftwerke“ der Zellen – nicht mehr ausreichend Energie (ATP) produzieren können. Studien fanden verminderte ATP-Produktionsraten, eine beeinträchtigte oxidative Phosphorylierung und eine reduzierte Reservekapazität der Mitochondrien in Zellen von ME/CFS-Patienten. Dies bedeutet, dass die Zellen bei erhöhtem Energiebedarf nicht genügend nachliefern können. Folge: selbst geringe körperliche oder mentale Anstrengungen führen schnell zu einem Energiemangel. Tatsächlich beobachtet man in Belastungstests (z. B. 2-Tage-Ergometrie) objektiv, dass ME/CFS-Patienten am zweiten Tag eine deutliche Abnahme der Leistungsparameter zeigen – ein Hinweis auf die ungenügende Erholung der Energieproduktion nach Belastung. Als Ausgleich schaltet der Körper verstärkt auf ineffiziente Glykolyse um, was zu einer vermehrten Laktatbildung selbst bei niedriger Belastung führt. Diese metabolischen Auffälligkeiten erklären die ausgeprägte Belastungsintoleranz (Post-Exertional Malaise, PEM) bei ME/CFS.
Die mitochondriale Dysfunktion wird als Schlüsselelement der Erkrankung betrachtet. Sie steht möglicherweise in Wechselwirkung mit dem Immunsystem: Ein Energiedefizit könnte direkt die Immunfunktion beeinträchtigen und umgekehrt können Immunaktivierungen den Energiestoffwechsel stören. Dieses Zusammenspiel schafft einen Teufelskreis, der zur Symptomvielfalt von ME/CFS beiträgt.
Immunologische Veränderungen und chronische Entzündung
ME/CFS geht mit auffälligen Veränderungen des Immunsystems einher. Zwar sind die Ergebnisse einzelner Studien nicht immer konsistent, doch insgesamt zeigt sich ein Bild einer chronischen niedriggradigen Entzündung und Immunaktivierung. So wurden veränderte Spiegel verschiedener Zytokine (Immunbotenstoffe) beobachtet, die teils mit dem Schweregrad der Erkrankung korrelieren. Allerdings variieren die genauen Zytokin-Profile zwischen Studien; es gibt nicht „das eine“ eindeutige Entzündungsmuster, was auf eine Heterogenität unter den Patienten hinweist. Typisch scheint jedoch eine Dysbalance pro- und antiinflammatorischer Zytokine zu sein, was auf anhaltende Immunstimulation hindeutet.
Ein besonders konsistenter Befund ist die verminderte Funktion der natürlichen Killerzellen (NK-Zellen). Diese Immunzellen, die infizierte oder entartete Zellen eliminieren sollen, zeigen bei ME/CFS-Patienten eine deutlich reduzierte Zytotoxizität – im Schnitt nur etwa die Hälfte der Werte Gesunder. Dieser NK-Zell-Defekt wird seit Jahrzehnten immer wieder nachgewiesen und gilt als robustes Kennzeichen der Erkrankung. Auch bei anderen Immunzelltypen wurden Auffälligkeiten beschrieben: Hinweise auf eine T-Zell-Dysfunktion (etwa Anzeichen vorzeitiger „Erschöpfung“ der T-Zellen) und B-Zell-Veränderungen existieren, ebenso eine verringerte Aktivität zytotoxischer T-Zellen. Insgesamt sprechen diese Befunde für eine Art Immunerschöpfung durch chronische Aktivierung.
Zudem häufen sich Indizien für Autoimmunprozesse bei ME/CFS. So hat man Autoantikörper gegen bestimmte Rezeptoren des autonomen Nervensystems identifiziert (u. a. gegen G‑Protein-gekoppelte Rezeptoren wie beta-adrenerge und muskarinische Rezeptoren). Solche Autoantikörper kommen bei vielen Patienten vor und ihre Konzentration korreliert mit der Symptomschwere. Auch tritt ME/CFS in Familien gehäuft zusammen mit anderen Autoimmunerkrankungen auf, was auf eine genetische Veranlagung hindeutet. Die Arbeitsgruppe der Charité Berlin um Prof. Scheibenbogen fand z. B. autoimmunologische Auffälligkeiten und diskutiert ME/CFS teilweise als eine Autoimmunerkrankung mit getriggerter Immunfehlsteuerung.
All diese immunologischen Veränderungen, wie chronische Entzündungsbotenstoffe, geringe NK-Zell-Funktion, mögliche Autoantikörper, weisen darauf hin, dass das Immunsystem bei ME/CFS in einem überaktiven, aber ineffizienten Zustand ist. Es läuft ständig „auf Hochtouren“ (ähnlich wie bei einer persistierenden Infektion) und richtet sich teils fehl gegen körpereigene Strukturen, wodurch es letztlich erschöpft und die normalen Abwehrfunktionen geschwächt sind. Dies kann erklären, warum viele Patienten von einem „Dauergrippe-Gefühl“ berichten und gleichzeitig anfällig für sekundäre Infekte sind. Interessant ist auch, dass ME/CFS häufig postinfektiös auftritt – z. B. nach EBV-Infektionen (Pfeiffer’sches Drüsenfieber) oder anderen Virusinfekten. Man vermutet, dass eine fehlgeleitete Immunreaktion nach einer Infektion den Krankheitsprozess anstoßen könnte, der dann chronisch fortbesteht, selbst wenn der ursprüngliche Erreger längst eliminiert ist.
Neuroinflammation und zentrale Reizverarbeitungsstörung
Als Neuroinflammation bezeichnet man Entzündungsprozesse im zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark). In den letzten Jahren haben bildgebende Studien Hinweise geliefert, dass bei ME/CFS eine solche Neuroinflammation vorliegt. Zum Beispiel zeigten PET-Scan-Untersuchungen erhöhte Marker für gliale Aktivierung (Mikroglia- und Astrozyten-Aktivität) im Gehirn von ME/CFS-Patienten. Dies deutet darauf hin, dass das Gehirn von Immunzellen des ZNS in einen Entzündungszustand versetzt wird – vermutlich ausgelöst durch proinflammatorische Signalstoffe. Gleichzeitig wurden in Liquor und Gehirn erhöhte Zytokinspiegel gefunden. Solche Veränderungen gehen mit funktionellen Konsequenzen einher: Neuroinflammation kann die neuronalen Netzwerke beeinträchtigen und trägt wahrscheinlich zu den kognitiven Störungen (Konzentrationsprobleme, „Brain Fog“) und zu der Reizempfindlichkeit bei ME/CFS bei. So wird berichtet, dass viele Betroffene extrem empfindlich auf Licht, Geräusche oder andere Sinnesreize reagieren – ein Anzeichen dafür, dass die zentrale Reizverarbeitung überschießend reagiert. Insbesondere schwer Erkrankte zeigen eine ausgeprägte Überempfindlichkeit gegenüber sensorischen Reizen (Licht, Lärm, Berührung). Dies passt zu der Annahme, dass die Filter- und Verarbeitungsmechanismen im Gehirn gestört sind.
Eine mögliche Ursache der Neuroinflammation ist ein Durchlässigwerden der Blut-Hirn-Schranke (siehe nächster Abschnitt), wodurch Immunfaktoren und eventuell Autoantikörper ins Gehirn gelangen können und dort Entzündungen unterhalten. Außerdem kann die anhaltende periphere Immunaktivierung (chronische Zytokine im Blut) die Mikroglia im Gehirn aktivieren. In neueren Übersichtsarbeiten wird betont, dass systemische Entzündung und Neuroinflammation bei ME/CFS eng zusammenwirken. Die Folge sind neben kognitiven Defiziten auch gestörte neuronale Regelkreise, etwa im autonomen Nervensystem und im Schmerzverarbeitungssystem. Manche Forscher vergleichen das Muster mit einer Art zentralen Sensibilisierung, wie sie z. B. bei Fibromyalgie diskutiert wird, wobei das zentrale Nervensystem überempfindlich auf Signale reagiert.
Interessant sind zudem Befunde aus MRT- und EEG-Studien, die strukturelle und funktionelle Auffälligkeiten zeigen. Metaanalysen mehrerer Hirnscan-Studien identifizieren z. B. Veränderungen in bestimmten Hirnregionen (häufig im Frontalcortex, aber auch im Hirnstamm, Thalamus und limbischen System). Teilweise wurden reduzierte Gehirnvolumina oder eine veränderte weiße Substanz berichtet. Obwohl die genauen neuroanatomischen Befunde heterogen sind, unterstreichen sie, dass ME/CFS auch eine neurologische Komponente hat: Die Kommunikation innerhalb des Gehirns und zwischen Gehirn und Körper ist gestört. Dies könnte erklären, warum z. B. die sensorische Reizfilterung nicht normal funktioniert oder warum die körperliche Belastung so unverhältnismäßig starke zentrale Erschöpfungssignale auslöst (PEM dürfte auch zentralnervöse Mechanismen haben).
Zusammenfassend weisen die Daten darauf hin, dass im ME/CFS-Hirn eine chronische neuroinflammatorische Aktivität abläuft, die kognitive Einschränkungen, autonome Dysfunktionen und Sensorik-Veränderungen verursacht. Dies manifestiert sich für die Patienten fühlbar in Gehirnnebel, Reizempfindlichkeit, Schlafstörungen und einer generellen neurologischen „Überlastung“.
Durchblutungsstörungen, vaskuläre Dysfunktion und Mikrothromben
ME/CFS betrifft auch das kardiovaskuläre System. Zahlreiche Studien zeigen Durchblutungsstörungen und eine Dysfunktion der Gefäße bei Betroffenen. Ein markantes Ergebnis aktueller Forschung sind sogenannte Mikrothromben: winzige Blutgerinnsel in der Mikrozirkulation. Insbesondere in Zusammenhang mit Long COVID wurde entdeckt, dass kleinste amyloide Fibrin-Clots (Mikrogerinnsel) im Blut zirkulieren und die Kapillaren verstopfen können. Inzwischen hat man Ähnliches auch bei ME/CFS-Patienten nachgewiesen. In einer Studie wurden in der Tat bei allen untersuchten ME/CFS-Patienten erhöhte Mengen solcher fibrinogenhaltigen Mikrogerinnsel im Blutplasma gefunden, verglichen mit gesunden Kontrollen. Auch waren die Blutplättchen (Thrombozyten) bei ME/CFS-Betroffenen vermehrt aktiviert und neigten zu verstärkter Verklumpung. Thromboelastografische Messungen bestätigten eine Hyperkoagulation (überschießende Gerinnbarkeit) des Blutes. Diese Befunde bedeuten, dass kleinste Gefäße und Kapillaren bei ME/CFS möglicherweise durch Mikro-Gerinnsel und zähes Blut verengt oder blockiert werden. Die Konsequenz wäre eine Minderdurchblutung von Geweben und somit Sauerstoff- und Nährstoffunterversorgung, was zu vielen Symptomen passen würde (Muskelschwäche, Gehirnnebel durch mangelnde Hirndurchblutung, etc.). Tatsächlich wird diskutiert, dass solch eine Mikrozirkulationsstörung und daraus folgende Ischämie-Reperfusions-Schädigung zentral zur Pathogenese beitragen könnte. Interessanterweise haben antikoagulative und thrombozytenhemmende Therapieversuche bei Long COVID teilweise Erfolge gezeigt, was die Bedeutung der Mikrothromben unterstreicht. Ob Ähnliches bei ME/CFS hilft, ist Gegenstand aktueller Studien.
Darüber hinaus liegen Hinweise auf eine generelle Endothel-Dysfunktion bei ME/CFS vor. Das Endothel (die Innenwand der Blutgefäße) reagiert bei Betroffenen offenbar nicht normal. Untersuchungen der Gefäßfunktion zeigten sowohl in mittelgroßen Arterien (Flow-mediated Dilatation) als auch in Kapillaren (post-okklusive reaktive Hyperämie) signifikante Funktionsstörungen des Endothels. Ein gesundes Endothel steuert die Gefäßweite und Durchblutung bedarfsgerecht – bei ME/CFS scheint diese Regulation gestört, was zu fehlender Gefäßweitstellung oder -verengung im richtigen Moment führt. Das deckt sich mit Berichten über kalte Akren (Hände/Füße), Mottling der Haut oder generelle Kreislaufschwäche. Auch gibt es Anzeichen einer Kapillar-Mikroangiopathie: In Untersuchungen der Nagelfalzkapillaren fanden sich teils veränderte Kapillardichten und -strukturen, was auf anhaltenden Gefäßstress hindeuten könnte (ähnlich wie bei anderen postinfektiösen Syndromen).
Ein weiterer gut belegter Befund ist ein reduziertes Blutvolumen bei ME/CFS-Patienten. Schon ältere Studien zeigten, dass viele Betroffene ein um 10–25% vermindertes Gesamtblutvolumen und Plasma-Volumen haben. Neuere Arbeiten bestätigen, dass ME/CFS-Patienten signifikant weniger zirkulierendes Blut (sowohl Plasma als auch rote Blutkörperchen) als Gesunde aufweisen. Dieses Hypovolämie-Phänomen führt dazu, dass das Herz weniger Füllung hat und pro Schlag weniger Blut auswerfen kann. Eine Forschungsgruppe aus den Niederlanden fand z.B., dass 90% von 429 untersuchten ME/CFS-Patienten in Kipptisch-Tests einen starken Blutfluss-Abfall zum Gehirn aufwiesen – im Mittel sank die Hirndurchblutung um 26% (bei Kontrollpersonen nur um 7%) im Stehen. Interessanterweise trat diese zerebrale Minderperfusion auch bei Patienten ohne ausgeprägte orthostatische Hypotonie oder ohne POTS auf. Das heißt, selbst wenn Puls und Blutdruck formal unauffällig blieben, kam bei ME/CFS weniger Blut im Gehirn an. Insgesamt hatten 90% der Patienten beim Aufrichten eine pathologisch reduzierte zerebrale Durchblutung. Diese Befunde lassen sich durch ein reduziertes Blutvolumen und/oder eine fehlerhafte Gefäßanpassung erklären. Wichtig: körperliche Dekonditionierung (also Inaktivität) als Ursache wurde weitgehend ausgeschlossen, denn auch in Gruppen ohne Deconditioning zeigte sich die gleiche Durchblutungsstörung. Das unterstreicht, dass es sich um eine organische Dysfunktion handelt und nicht um eine Folge von Bewegungsmangel.
Die Folgen der vaskulären Störungen sind vielfältig und decken sich mit den Symptomen von ME/CFS: Durch verminderte Hirndurchblutung kommt es zu Schwindel, „Benommenheit“ und kognitiven Problemen beim Aufstehen; eine Muskelminderdurchblutung könnte zu schnellerer Ermüdung und Schmerz beitragen; die Gewebshypoxie erhöht wiederum oxidativen Stress (siehe unten). In der Summe deuten die aktuellen Erkenntnisse darauf hin, dass ME/CFS eine handfeste Gefäßkomponente hat: entzündlich aktiviertes, dysfunktionales Endothel, zähes Blut mit Mikrogerinnseln und zu wenig Blutvolumen – all das führt zu einer Art „Durchblutungs-Insuffizienz“, insbesondere unter Belastung oder orthostatischer Herausforderung.
Gestörte Kreislaufregulation (Orthostatische Intoleranz und POTS)
Eng verknüpft mit den vaskulären Veränderungen ist die autonome Kreislaufregulation, die bei ME/CFS oft gestört ist. Orthostatische Intoleranz: das Unvermögen, länger aufrecht zu stehen, ohne Symptome zu entwickeln – ist bei der Mehrheit der Patienten anzutreffen. Viele entwickeln beim Aufstehen einen starken Herzfrequenzanstieg und Symptome wie Schwindel, Schwäche, Sehstörungen bis hin zu Synkopen. Häufig erfüllt dies die Kriterien eines Posturalen orthostatischen Tachykardie-Syndroms (POTS). Je nach Studie variieren die Zahlen, aber Schätzungen zufolge haben bis zu 30–50% der ME/CFS-Betroffenen ein formales POTS. In manchen Kohortenstudien wurde sogar berichtet, dass nahezu alle Patienten zumindest orthostatische Symptome haben – in einer Untersuchung gaben 97% der CFS-Patienten deutliche Beschwerden beim Stehen an, auch wenn nur ~40% die engere POTS-Definition erfüllten.
Diese Orthostatische Intoleranz äußert sich in Herzrasen, Blutdruckabfall oder -schwankungen, Benommenheit, Übelkeit und starker Erschöpfung im Stehen. Oft müssen Patienten sich hinlegen, da ihre Körperhaltungskontrolle gestört ist. Die Ursache liegt einerseits in den oben genannten Durchblutungsstörungen (zu wenig Blut im Kopf wegen Gefäßversagen/Hypovolämie), andererseits in einer dysautonomen Regulation: Das autonome Nervensystem (Sympathikus/Parasympathikus) reagiert unangemessen auf den Lagewechsel. So kann der Sympathikus überschiessen (-> Tachykardie, aber ohne ausreichende Vasokonstriktion) oder es kommt zu Reflexfehlsteuerungen (z.B. neurally mediated hypotension, bei der verzögert ein Blutdruckabfall eintritt).
Neuere Forschungen deuten darauf hin, dass diese autonomen Dysfunktionen nicht durch mangelnde Fitness erklärbar sind. Stattdessen vermutet man strukturelle oder funktionelle Schäden in der Autonomen Steuerung – etwa auf Ebene des Hirnstamms (der die Kreislaufreflexe steuert) oder durch Autoantikörper gegen adrenerge Rezeptoren, die die Gefäßreaktion beeinträchtigen. Tatsächlich wurden Autoantikörper gegen Beta- und M2-Acetylcholinrezeptoren beschrieben, die mit OI in Verbindung stehen. Eine weitere mögliche Ursache ist eine Small-Fiber-Neuropathie der autonomen Nervenfasern, was in Biopsien einiger ME/CFS-Patienten nachgewiesen wurde und zu einer gestörten Gefäßinnervation führt (ähnlich wie bei diabetischer Neuropathie).
Für die Patienten bedeutet die orthostatische Dysfunktion, dass langes Stehen oder sogar Sitzen die Symptome drastisch verschlimmern kann. Viele berichten von einer Besserung im Liegen (manche müssen nahezu den ganzen Tag liegen). Diagnostisch lässt sich OI via Kipptischuntersuchung, Schellong-Test oder 24h-Blutdruckmessung objektivieren – und wie oben erwähnt, zeigen solche Tests bei ME/CFS häufig deutliche Auffälligkeiten (z.B. Abfall der Hirndurchblutung um \~25% bei aufrechter Position).
Zusammenfassend gehört die Orthostatische Intoleranz zu den Schlüsselmerkmalen von ME/CFS. Sie resultiert aus einer Kombination von vaskulären Problemen (geringes Blutvolumen, gestörte Vasokonstriktion, Mikrothromben) und neuronalen Regelungsdefekten (dysfunktionales autonomes Nervensystem, evtl. autoimmun bedingt).
Veränderungen des Darm-Mikrobioms und Darmpermeabilität
In den letzten Jahren richtet sich der Blick der ME/CFS-Forschung vermehrt auf den Darm. Der Darm spielt eine wichtige Rolle im Immunsystem und Stoffwechsel (Stichwort „Gut-Brain-Axis“), und es gibt Hinweise, dass Veränderungen der Darmflora (Mikrobiom) bei ME/CFS zur Pathophysiologie beitragen. Tatsächlich zeigen Studien konsistent, dass ME/CFS-Patienten eine Dysbiose aufweisen – also eine veränderte Zusammensetzung der Darmbakterien. Oft wird eine reduzierte Diversität der Mikroben sowie ein Ungleichgewicht zwischen „guten“ und potenziell schädlichen Bakterienstämmen beschrieben. Zum Beispiel wurden niedrige Mengen an anti-inflammatorischen Bakterien (wie Faecalibacterium prausnitzii) und eine Zunahme von pro-inflammatorischen Spezies festgestellt. Diese Mikrobiom-Veränderungen gehen mit systemischer Entzündung einher: Eine gestörte Darmflora kann das Immunsystem ständig stimulieren und so zu den chronisch erhöhten Zytokinen und der Immunaktivierung bei ME/CFS beitragen.
Darüber hinaus wird der Begriff „Leaky Gut“ („durchlässiger Darm) – im Kontext von ME/CFS diskutiert. Normalerweise bildet die Darmschleimhaut eine enge Barriere, die verhindert, dass Bakterienbestandteile oder Toxine in den Blutkreislauf gelangen. Bei ME/CFS fand man jedoch erhöhte Blutspiegel von bakteriellen Produkten (z.B. Lipopolysaccharid-bindendes Protein), was auf eine erhöhte Darmpermeabilität hindeutet. Chronische Entzündungsprozesse können die Verbindungen der Darmwand lockern und so einen Übertritt von Bakterienbestandteilen ins Blut ermöglichen. Dieses „Leaky Gut“ könnte das Immunsystem zusätzlich anheizen und auch neuroinflammatorische Prozesse triggern. Zum Beispiel indem Toxine oder Entzündungsmediatoren über den Blutkreislauf das Gehirn erreichen. Damit schließt sich der Kreis zwischen Darm und Gehirn (Gut-Brain-Achse): Eine Dysbiose kann systemische und neuronale Entzündung fördern, was zu Fatigue und kognitiven Symptomen beiträgt.
Interessanterweise berichten viele ME/CFS-Betroffene auch über gastrointestinale Symptome wie Reizdarmbeschwerden, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Übelkeit oder Schmerzen. Tatsächlich erfüllen etliche Patienten auch die Kriterien eines Reizdarmsyndroms (IBS), was die Überlappung im Krankheitsbild zeigt. Es ist plausibel, dass die anhaltende Immunaktivierung im Darm hierfür verantwortlich ist. In einer vom NIH veröffentlichten Studie (2023) wurde sogar vorgeschlagen, bestimmte Mikrobiom-Muster könnten als biologischer Marker für ME/CFS dienen. Zwei NIH-geförderte Arbeiten fanden signifikante Veränderungen in der Darmflora von ME/CFS-Patienten und schlugen vor, dass diese mikrobiellen Signaturen charakteristisch für die Krankheit sein könnten.
Die Erkenntnisse über die Darm-Mikrobiom-Veränderungen haben auch therapeutische Implikationen: In einer Übersicht von 2025 werden therapeutische Ansätze diskutiert, die den Darm ins Visier nehmen, wie etwa Probiotika, Präbiotika, spezialisierte Diäten, Fäkaltransplantation etc.. Erste Pilotstudien hierzu zeigen teils Besserungen in Symptomen, was dafür spricht, dass das Mikrobiom ein lohnendes Target ist, um die systemische Entzündung und vielleicht auch neurologische Symptome zu mildern. Insgesamt untermauert die Mikrobiom-Forschung die Sichtweise, dass ME/CFS ein multisystemisches Geschehen ist, bei dem der Darm als Entzündungsherd eine Rolle spielen kann, der weitreichende Auswirkungen auf Immun- und Nervenfunktionen hat.
Barrierestörungen: Blut-Hirn-Schranke
Wie bereits angedeutet, gibt es Hinweise, dass schützende Barrieren im Körper durchlässiger sein könnten. Allen voran wird eine mögliche Störung der Blut-Hirn-Schranke (BHS) diskutiert. Die Blut-Hirn-Schranke ist ein Filter in den Hirngefäßen, das normalerweise verhindert, dass große Moleküle oder Immunzellen unkontrolliert ins Gehirn gelangen. Bei ME/CFS könnte diese Schranke zumindest teilweise kompromittiert sein.
Unterstützt wird diese Hypothese durch Befunde, dass entzündliche Mediatoren aus der Peripherie ins Zentrale Nervensystem „überschwappen“ können. So können z.B. hohe Zytokinspiegel im Blut die BHS öffnen bzw. stören. Experimentell ist bekannt, dass bestimmte Zytokine (etwa TNF-α oder IL-1β) die Tight Junctions im Endothel der Hirngefäße lockern können. In ME/CFS wurden erhöhte Levels solcher Zytokine gemessen. Zudem fand man bei postmortalen Untersuchungen Anzeichen für Aktivierung von Mikroglia in Hirnarealen, die eigentlich vom peripheren Immunsystem isoliert sein sollten. Auch Autoantikörper (gegen Rezeptoren im Gehirn) könnten bei durchlässiger BHS ins ZNS gelangen und dort Fehlfunktionen auslösen.
Konkrete Studien zu ME/CFS und BHS stehen noch aus, aber Parallelen zu anderen neurologischen Erkrankungen (etwa MS oder Lupus, wo eine BHS-Störung Teil der Pathogenese ist) werden gezogen. Eine 2022 veröffentlichte Hypothese in Frontiers in Neurology beschreibt, dass anhaltende Neuroinflammation und „Barrier Leakage“ sich gegenseitig verstärken: Entzündung macht die Barriere undicht, wodurch wiederum mehr Entzündungsstoffe ins Gehirn gelangen und dort neuroinflammatorische Kaskaden auslösen. Dies könnte erklären, warum manche ME/CFS-Patienten neurokognitive Verschlechterungen nach Infekten erleben – als würde jede neue Entzündung „ins Gehirn durchschlagen“.
Neben der Blut-Hirn-Schranke wird auch über andere Barrieren nachgedacht: z.B. die Blut-Liquor-Schranke oder die Muskelfaser-Membranbarrieren. In einer aktuellen medRxiv-Preprint-Studie (2023) wurde der Begriff „Broken Bridge“ auch auf die Verbindung Hirnstamm–Körper angewandt, wo strukturelle Veränderungen im Bereich des 4. Ventrikels gefunden wurden, die evtl. die autonome Kommunikation beeinträchtigen. Ob dies Bestand hat, muss weitere Forschung zeigen.
Für das Verständnis von ME/CFS bleibt die Idee einer Barrierestörung jedoch wichtig: Sollte die Blut-Hirn-Schranke tatsächlich durchlässiger sein, ließe sich damit das gleichzeitige Auftreten von peripherer Entzündung und zentraler neuronaler Dysfunktion besser erklären – die sonst eigentlich getrennten Kompartimente beeinflussen sich dann direkt.
Oxidativer und nitrosativer Stress
Oxidativer Stress bezeichnet ein Ungleichgewicht zwischen der Produktion schädlicher Sauerstoffradikale und der Kapazität des Körpers, diese zu entgiften. Bei ME/CFS gibt es zahlreiche Hinweise auf erhöhten oxidativen Stress sowie nitrosativen Stress. Studien haben gezeigt, dass im Blut von ME/CFS-Patienten Marker für oxidativen Zellschaden erhöht sind und gleichzeitig die Antioxidantien-Spiegel reduziert sind. Praktisch bedeutet das, dass ständig zu viele freie Radikale vorhanden sind, die Zellmembranen, Mitochondrien und sogar die DNA schädigen können. Dieser chronische oxidative Stress wird als ein wichtiger Mitverursacher von Symptomen wie Fatigue und kognitiver Dysfunktion angesehen. Er könnte außerdem die bereits erwähnte mitochondriale Dysfunktion verstärken, da Mitochondrien sehr empfindlich auf ROS-Schäden reagieren.
Auch nitrosativer Stress, vor allem durch übermäßiges Stickstoffmonoxid (NO) und Peroxynitrit, wurde bei ME/CFS beschrieben. NO wird im Rahmen von Entzündungsreaktionen produziert und kann in hoher Konzentration u.a. die Mitochondrienatmung hemmen. Der Biochemiker Martin Pall entwickelte bereits früher die Theorie, ME/CFS sei charakterisiert durch einen NO/Peroxynitrit-Kreislauf, der die Krankheit aufrechterhält. Neuere Arbeiten bestätigen zumindest, dass Nitrostress-Marker bei vielen Patienten erhöht sind.
Interessanterweise lassen sich anhand oxidativer Stress-Parameter möglicherweise Subgruppen von ME/CFS unterscheiden: In einer Untersuchung konnten zwei Gruppen gebildet werden: eine mit besonders hohen oxidativen Schäden und erschöpften Antioxidantien, und eine mit moderateren Werten, aber immer noch über Gesunden. Beide Gruppen waren jedoch klar von gesunden Kontrollen differenzierbar, was den pathologischen Charakter unterstreicht.
Die Folgen von oxidativem und nitrosativem Stress sind multifaktoriell: Zum einen führen sie zu Entzündung, zum anderen schädigen sie zelluläre Strukturen. Beispielsweise können ROS/RNS die Mitochondrien-DNA beeinträchtigen, was wiederum die Energieproduktion hemmt und einen Teufelskreis befeuert – weniger ATP -> mehr oxidativer Stress -> noch weniger ATP. Zudem erhöht oxidativer Stress die Durchlässigkeit von Zellmembranen und Barrieren, was eventuell auch zum „Leaky Gut“ und BHS-Leck beiträgt.
Ein spezifischer Marker, der in ME/CFS-Studien gefunden wurde, ist z.B. oxidiertes LDL und erhöhte Nitrotyrosin-Spiegel, die auf Peroxynitrit-Schäden hindeuten. Auch ein Mangel an Antioxidanzien wie Glutathion wird berichtet. In der Praxis versuchen einige Therapien (wenn auch empirisch), hier gegenzusteuern – etwa die Gabe von Antioxidantien (Vitamin C, N-Acetylcystein, Coenzym Q10 etc.). Eine Studie 2022 zeigte z.B., dass eine Kombination aus Antioxidantien und entzündungshemmenden Substanzen einige Immunmarker bei ME/CFS verbessern konnte.
Insgesamt passt das Vorliegen von oxidativem/nitrosativem Stress ins Bild einer Erkrankung, bei der dauerhaft Entzündungs- und Stressprozesse aktiviert sind. Es erklärt auch Symptome wie Muskelschmerzen, denn oxidativer Stress kann zur Lactatakkumulation und Reizung von Nozizeptoren beitragen, und „Brain Fog“ (das Gehirn ist sehr empfindlich gegenüber oxidativen Schäden, was zu kognitiven Funktionsstörungen führen kann).
Hormonelle Veränderungen (HPA-Achse und andere)
ME/CFS beeinflusst auch das endokrine System, wenn auch subtil. Besonders gut untersucht ist die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA-Achse), die unseren Stresshormonhaushalt (Cortisol) reguliert. Mehrere Studien deuten auf eine Hypofunktion der HPA-Achse bei ME/CFS hin – oft umschrieben als ein leichter Hypokortisolismus im Tagesverlauf. Konkret wurden bei vielen Patienten etwas niedrigere Cortisolspiegel (v.a. am Morgen) und eine flachere Tagesrhythmik gemessen, verglichen mit gesunden Personen. Dieser Zustand wird manchmal als Folge einer chronischen Überaktivierung gesehen: Eine Theorie besagt, dass langandauernder Stress, z.B. durch Infektion oder Entzündung, zunächst zu einer übermäßigen Cortisolausschüttung führt, die jedoch bei anhaltender Belastung in einen erschöpften Zustand übergeht – der Körper „fährt die Cortisolproduktion herunter“. Das Resultat sind dauerhaft erniedrigte Cortisolwerte, was eigentlich untypisch ist für chronischen Stress (dort wäre Cortisol hoch), aber bei ME/CFS eben beobachtet wird. Dieses Muster, oft auch bei chronischem Fatigue nach Trauma oder in PTSD gesehen, könnte erklären, warum Patienten einerseits Entzündung haben (denn Cortisol ist eigentlich entzündungshemmend; bei Mangel kann Entzündung überschießen) und andererseits so stressanfällig sind. Kleine Stressoren können dann unverhältnismäßig starke Reaktionen auslösen, weil die Stressantwort dysfunktional ist.
Neben Cortisol wurden auch andere hormonelle Achsen untersucht: Beispielsweise fand man Hinweise auf Abnormitäten im Wachstumshormon und im adrenergen System. Einige Patienten zeigen eine verminderte GH-Ausschüttung im Belastungstest, was zu verringerter Regeneration beitragen könnte. Auch die Schilddrüsenwerte sind manchmal niedrig-normal, wobei eindeutige Schilddrüsenstörungen bei ME/CFS nicht die Regel sind.
Die HPA-Achse bleibt jedoch der interessanteste Schauplatz. Eine genetische Studie fand Assoziationen zwischen ME/CFS und Polymorphismen im Glukokortikoidrezeptor-Gen, was die Empfindlichkeit gegenüber Cortisol beeinflussen könnte. Zudem gibt es Parallelen zu Fibromyalgie, wo ebenfalls ein milder Hypokortisolismus beschrieben ist. Wichtig zu betonen: Die hormonellen Veränderungen in ME/CFS sind moderat – es handelt sich *nicht* um so drastische Defizite wie bei Morbus Addison (Nebenniereninsuffizienz) oder dergleichen. Entsprechend sind Hormonersatztherapien in Studien auch nur mit sehr begrenztem Erfolg getestet worden. Dennoch könnten die leicht erniedrigten Cortisolspiegel zu Symptomen beitragen: Cortisolmangel begünstigt Schlafstörungen, Morgenmüdigkeit, Schmerzen und überschießende Entzündungsreaktionen.
Auch die Autonome Hormonregulation (Orthostasehormone wie Renin-Angiotensin, Aldosteron) wurde untersucht. Einige Arbeiten fanden relativ niedrige Aldosteronwerte bei ME/CFS, was zum niedrigen Blutvolumen passt. Im Geschlechtshormonsystem gibt es keine eindeutig reproduzierbaren Befunde; manche Frauen berichten jedoch über eine Symptomschwankung im Zyklus, was auf eine Interaktion mit Östrogen/Progesteron hindeutet.
Schließlich ist zu erwähnen, dass hormonelle Veränderungen auch sekundär durch ME/CFS auftreten können, etwa durch Schlafstörung (die wiederum Hormone durcheinander bringt) oder Gewichtsveränderungen/Inaktivität (was das Insulin und Leptin beeinflusst). Beispielsweise zeigen ME/CFS-Patienten auffällig oft eine gestörte Tag-Nacht-Rhythmik von Melatonin und Cortisol, was Teil der Schlafproblematik ist. Insgesamt lässt sich sagen: ME/CFS geht mit einer milden Dysregulation der neuroendokrinen Stressachsen einher, die vermutlich sowohl Ursache als auch Folge der chronischen Krankheit sein kann. Diese Dysregulation trägt zur allgemeinen Homöostase-Störung des Körpers bei. Der Körper reagiert „überempfindlich“ auf Belastungen, kann sich aber gleichzeitig nicht mehr adäquat anpassen.
Weitere relevante Aspekte (Schlafstörung, Thermoregulation u.a.)
ME/CFS hat eine Vielzahl weiterer physiologischer Auswirkungen, die das Krankheitsbild abrunden. Schlafstörungen nehmen dabei einen prominenten Platz ein: Nicht-erholsamer Schlaf gehört zu den Leitsymptomen. Bis zu 95 % der Patienten berichten, dass sie trotz ausreichend langer Schlafzeiten morgens wie gerädert aufwachen. Objektive Schlaflabor-Studien bestätigen, dass die Schlafarchitektur gestört ist. Oft ist der Tiefschlafanteil reduziert und es zeigen sich vermehrte Aufwachreaktionen sowie eine Alpha-Wellen-Einstreuung in den Delta-Schlaf (Hinweis auf oberflächlichen Schlaf). Unabhängig von der genauen Ausprägung führt dies dazu, dass ein ME/CFS-Körper keine richtige Erholung in der Nacht findet. Dieser chronische Schlafentzug auf biologischer Ebene verschlimmert natürlich Fatigue, Schmerzempfinden und kognitive Leistungsfähigkeit. Einige Studien haben sogar strukturelle Gehirnabweichungen in Verbindung mit unerholsamem Schlaf gefunden. Schlafstörungen können wiederum Hormone (z.B. Wachstumshormon und Cortisol) beeinflussen, sodass ein komplexes Wechselspiel entsteht.
Ein weiterer oft genannter Aspekt ist die gestörte Thermoregulation. Viele ME/CFS-Betroffene haben Probleme, ihre Körpertemperatur konstant zu halten. Beispielsweise fühlen sich einige chronisch untertemperiert (innere Kälte, gemessene Basaltemperaturen um 36 °C oder niedriger), während andere Phasen von unerklärlichem Fiebergefühl oder Hitzeintoleranz haben. Dieses Symptom wird auf eine Dysfunktion des vegetativen Nervensystems und ggf. der Schweißdrüsen zurückgeführt. Small-Fiber-Neuropathien könnten hier eine Rolle spielen, indem die Hautdurchblutung und Schwitzregulation beeinträchtigt sind. Die gestörte Durchblutung (siehe oben) trägt ebenfalls dazu bei – kalte Extremitäten sind häufig. Auch der Hypothalamus als zentrales Temperaturregelzentrum könnte durch Neuroinflammation aus dem Gleichgewicht sein. In der Praxis äußert sich dies darin, dass Patienten z.B. Temperaturwechsel schlecht tolerieren, sich bei Wärme rasch überhitzt fühlen oder umgekehrt bei leichtem Luftzug frösteln.
Zu den „weiteren Aspekten“ gehören auch Störungen der kognitiven Funktionen („Brain Fog“), die bereits erwähnt wurden, sowie Symptome wie Kopfschmerzen, chronische Schmerzen (teilweise als Fibromyalgie-ähnliches Bild), Sensibilitätsstörungen (Parästhesien) und Allergie-ähnliche Überempfindlichkeiten. Einige Patienten entwickeln plötzlich Intoleranzen gegenüber bestimmten Nahrungsmitteln, Medikamenten oder Chemikalien – was auf eine generelle Übererregbarkeit von Mastzellen/Histamin-System hinweist. Tatsächlich wird eine Überschneidung mit dem Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) diskutiert, da Histaminintoleranz-Symptome nicht selten sind.
Kardiologisch zeigen manche Patienten abgesehen von OI auch andere Auffälligkeiten, z.B. geringes Herzschlagvolumen (teils spricht man von „Small Heart Syndrome“), Herzstolpern oder palpitäre Tachykardien bei minimaler Belastung. Lebensbedrohliche kardiale Ereignisse sind jedoch zum Glück selten; es handelt sich meist um funktionelle Rhythmusstörungen aufgrund des autonomen Ungleichgewichts.
Erwähnenswert ist ferner die Beobachtung, dass eine Untergruppe der Patienten Anzeichen einer chronischen Viruspersistenz zeigt. Beispielsweise wurden bei einigen ME/CFS-Erkrankten weiterhin aktive Herpesviren (EBV, HHV-6) oder Enteroviren in niedriger Aktivität nachgewiesen. Ob diese aktiven Virusreste die Symptome antreiben oder nur Opportunisten sind, ist noch unklar – aber es passt ins Gesamtbild eines überforderten Immunsystems, das möglicherweise latente Viren nicht in Schach halten kann.
Fazit
ME/CFS ist eine komplexe multisystemische Erkrankung, bei der zahlreiche physiologische Veränderungen zusammenkommen. Energiestoffwechsel- und Mitochondriendysfunktionen führen zu einem fundamentalen Energiemangel in den Zellen. Gleichzeitig erzeugt ein fehlgeleitetes Immunsystem eine chronische Entzündungslage, mit Zytokinveränderungen, Autoantikörpern und immunologischer Erschöpfung. Im Nervensystem zeigen sich Neuroinflammation und gestörte Reizverarbeitung, was kognitive Defizite und sensorische Überempfindlichkeiten erklärt. Das Gefäßsystem ist durch Mikrothromben, Endothel-Dysfunktion und Minderdurchblutung betroffen, was zu Orthostaseproblemen und Gewebehypoxie beiträgt. Die autonome Kreislaufregulation versagt teilweise – viele Patienten haben POTS und orthostatische Intoleranz. Darmdysbiose und ein „durchlässiger Darm“ können das Immunsystem weiter triggern und sogar das Gehirn beeinflussen. Schutzbarrieren wie die Blut-Hirn-Schranke könnten kompromittiert sein, sodass periphere Entzündung ins ZNS überschwappt. Oxidativer und nitrosativer Stress erzeugt einen biologischen Teufelskreis aus Zellschädigung und Energieblockade. Und hormonelle Dysregulationen (etwa eine schwache HPA-Achse mit niedrigen Cortisolspiegeln) schwächen die Fähigkeit des Körpers, mit all dem umzugehen.
All diese Faktoren greifen ineinander und verstärken sich gegenseitig. ME/CFS ist daher kein lokales Geschehen, sondern ein ganzkörperliches Syndrom, das Immun-, Nerven-, Hormon- und Stoffwechselsystem gleichzeitig betrifft. In den Jahren 2023–2025 hat die Forschung große Fortschritte gemacht, diese biologischen Abweichungen zu identifizieren und ernst zu nehmen. Internationale Institutionen wie das NIH und Forschungsteams (z. B. an der Charité Berlin, dem Open Medicine Foundation-Netzwerk u.a.) haben durch neue Studien, Reviews und Konferenzen ein klares Signal gesetzt: ME/CFS ist eine realer, körperlicher Krankheitszustand mit objektivierbaren pathophysiologischen Veränderungen. Dieses bessere Verständnis der Pathophysiologie – so komplex und vielschichtig sie ist – ebnet den Weg für gezielte Therapieforschungen. Beispielsweise werden Ansätze getestet, die Autoimmunprozesse bremsen, die Durchblutung verbessern, die Energieproduktion unterstützen, oder die Darmflora modulieren.
Bislang gibt es zwar kein Heilmittel, aber das wachsende Wissen vermittelt Patienten und Ärzten, dass ME/CFS biologisch erklärbar ist und kein „psychisches Rätsel“ darstellt. Vielmehr zeigt es sich als vielschichtige körperliche Krankheit, bei der verschiedene Systeme gleichzeitig aus dem Gleichgewicht geraten.
Quellen: Eine Auswahl aktueller Studien und Reviews, 2023–2025
- Hendrix et al. (2025): *Connection Between Energy Metabolism and Immune Senescence in ME/CFS*.
- Scheibenbogen et al. (Charité, 2023): *Pathomechanisms of Post-COVID and ME/CFS*.
- Nunes et al. (2023): *Cardiovascular and haematological pathology in ME/CFS* (Blood Reviews).
- Baraniuk et al. (2024): *Meta-analysis of NK cell function in ME/CFS*.
- Lee et al. (2024): *Neuroinflammation in ME/CFS – Neuroimaging meta-analysis*.
- Hsu et al. (2025): *Gut health in ME/CFS – narrative review*.
- -versch. Autoren: *Übersichtsarbeiten zu ME/CFS Pathophysiologie* (Frontiers Immunol. 2024).
- NIH/NLM (2024): *News Release – brain, immune, metabolic abnormalities in ME/CFS*.
- Weitere: Institute of Medicine Report (2015), ME Association & ME Research UK Reports, u.a.