7. August 2025

Let’s talk about Symptoms

Ein Erfahrungsbericht aus Bell-Stufe 50–30

Im letzten Beitrag habe ich versucht, hier genau zu beschreiben, was bei ME/CFS im Körper passiert – soweit die Forschung es bislang hergibt. Heute gehe ich einen Schritt weiter: Ich zeige euch, wie sich diese Prozesse konkret anfühlen. Oder genauer: wie sie sich in meinem Körper zeigen. Ich schreibe über mehr als 40 Symptome, die ich aktuell erlebe. Über das, was sich von außen oft nicht erkennen lässt. Und über das, was mein Alltag bedeutet – als Mensch mit einem chronisch kranken Körper im Bell Score zwischen 50 und 30.

Das heißt: Ich bin nicht bettlägerig. Ich kann kleinere Wege in der Wohnung zurücklegen, mit sehr viel Aufwand manchmal arbeiten, in Ausnahmefällen am sozialen Leben teilnehmen – aber nur, wenn ich konsequent pace. Wenn ich meine Belastung permanent überwache. Was nicht heißt, dass ich ein normales Leben führe. Es heißt, dass ich versuche, unterhalb der Grenze zu bleiben, an der mein Körper in den Absturz kippt.

Erschöpfung, die nicht weggeht – und ihre Folgen

Die Basis ist immer die gleiche: Eine Erschöpfung, die durch nichts besser wird. Kein Schlaf, kein Wochenende, kein Urlaub hilft. Zähneputzen ist ein Kraftakt. Duschen kann den ganzen Tag kosten. Und jede Entscheidung – auch dieser Text hier – ist ein Drahtseilakt.

Das Kernsymptom bei ME/CFS ist PEM, die Post-Exertional Malaise. Eine Zustandsverschlechterung nach Belastung, die sich bei mir mit massiver Erschöpfung, grippeähnlichem Gefühl, Muskelschmerzen, Wortfindungsstörungen, Kribbeln und kognitiver Überforderung äußert. Sie kann Stunden oder auch erst Tage später auftreten und mich tagelang ausknocken.

Ich spüre die Auswirkungen oft als Rolling PEM, eine Art Dauerzustand, in dem der Körper keine echte Erholung mehr findet seit über 2 Jahren mindestens. Die Grenzen verschwimmen. Es gibt keine klare Linie zwischen Belastung und Erholung mehr, alles zehrt – auch das Ausruhen.

Nervensystem im Ausnahmezustand

Mein autonomes Nervensystem ist aus dem Takt geraten – das wurde diagnostisch bestätigt. Die HRV-Messungen bei Dr. Ziaja zeigten eine starke Dominanz des Sympathikus, also des Stresssystems, auch in Ruhephasen. Der Parasympathikus, zuständig für Erholung, ist nur schwach aktivierbar. Die sogenannte Total Power liegt bei mir mit 3805 im Liegen und 374 im Stehen deutlich unter dem gesunden Referenzbereich. Die SDNN-Werte, die Rückschlüsse auf die Gesamtvariabilität des Herzschlags geben, liegen bei mir bei 27,5 – normal wären in meinem Alter über 110.

Dazu kommt eine massive Pulsdifferenz zwischen Liegen und Stehen von min. 45 Schlägen. Die Diagnose auf POTS (posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom) wurde damit gestellt. Mein Puls schießt beim Aufrichten in Höhen, die sich anfühlen wie Marathon. Hinzu kommen Extrasystolen, Schwitzen funktioniert kaum noch, die Thermoregulation ist gestört – ich friere oft, fühle mich aber gleichzeitig fiebrig.

Schmerzen, die bleiben – und nicht genau zu greifen sind

Ich habe dauerhaft Muskelschmerzen, vor allem in den Beinen. Oft dumpf, manchmal brennend, manchmal wie Nadelstiche. Eine vermutete Small-Fiber-Neuropathie könnte hier eine Rolle spielen. Kribbeln, Taubheitsgefühle und Muskelzuckungen gehören mittlerweile zum Alltag. Messungen zeigen erhöhte Muskel-Frequenzen und eine stark eingeschränkte Entspannungsfähigkeit – selbst ohne Bewegung.

Kognitive Einschränkungen – mehr als nur Vergesslichkeit

Meine Konzentrationsfähigkeit ist stark reduziert. Lesen fällt schwer. Gespräche überfordern mich schnell. Ich verliere Wörter, vergesse, was ich gerade getan habe. Mein EEG zeigt eine massive Überaktivierung in Bereichen, die mit Konzentration und Gedächtnisleistung zu tun haben. Beta- und Gamma-Wellen überlagern die ruhigeren Frequenzen. Das passt: Ich bin ständig in Alarmbereitschaft – selbst im Liegen.

Das Immunsystem im Dauerbetrieb

Ich habe regelmäßig Halsschmerzen – ohne erkennbare Entzündung. Meine Lymphknoten schmerzen nach Belastung, ich bin blass, bekomme schlecht Luft, besonders bei Belastung oder in Ruhephasen. Die Blutanalyse zeigt: Lymphozytenwerte am oberen Referenzbereich, massive Mängel an Neuro-Aminosäuren, Q10 und Alpha-Liponsäure. Eine durchgemachte EBV-Infektion hinterließ Spuren, auch wenn aktuell kein akuter Befund vorliegt.

Schlaf – ein Kapitel für sich

Ich schlafe schlecht und wenn, dann unruhig. Albträume, komatöse Zustände, ständiges Aufwachen, kaum Tiefschlaf, ewige REM-Phasen. Das Aufstehen fühlt sich an, als hätte ich nie geschlafen. Es gibt keine echte Erholung. Und das zehrt.

Weitere Symptome – und eine lange Liste

Zurzeit habe ich über 40 Symptome – von Migräne über PMS-Verschlechterung bis hin zu einer ausgeprägten Insulinresistenz und mitochondrialer Dysfunktion. Ich habe über 10 Kilo ungewollt abgenommen, meine Fingernägel brechen, meine Haut reagiert empfindlich. Die Liste ist lang: TOS, Mikrothromben, Licht- und Geräuschempfindlichkeit, erhöhtes Lipoprotein(a), beginnende Arteriosklerose. Ich dokumentiere das alles nicht, um mich zu beklagen, sondern um zu zeigen, was es heißt, mit ME/CFS zu leben. Und um greifbarer zu machen, was sonst so unsichtbar bleibt.

Ein Körper – über 40 Symptome – und nichts sieht man ihm an

Das alles passiert in einem Körper, der von außen meistens „okay“ aussieht. Manchmal ein bisschen blass, müde vielleicht. Aber krank? Nein, das sagen die Leute nicht. Und genau deshalb ist es so wichtig, darüber zu sprechen.

Dieser Beitrag ist kein Jammern. Es ist ein Einblick. In mein Leben, in meinen Körper. Es ist eine Einladung zum Verstehen. Denn Sichtbarkeit beginnt nicht bei äußeren Merkmalen. Sondern bei Zuhören, Hinschauen und Anerkennen.

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